| Dublin-Verordnung BVerfG formuliert Mindeststandards für Dublin-Abschiebungen von Kleinkindern
Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 2014, Az. 2 BvR 1795/14 und Az. 2 BvR 939/14.
Dominik Bender und Maria Bethke formulieren dazu: "Das BVerfG hat sich mit den beiden angehängten Beschlüssen - aus unserer Sicht in erfreulicher Weise! - in die Debatte über die Zulässigkeit der Abschiebung von Familien mit Kleinkindern nach Italien eingeschaltet.
Die Konstellationen ähneln der im sog. Tarakhel-Fall, der z.Zt. beim EGMR anhängig ist und in dem jederzeit mit der Entscheidung gerechnet werden kann.
Die Feststellungen des BVerfG in den beiden Beschlüssen (BVerfG, Beschlüsse vom 17.9.2014, Az. 2 BvR 1795/14 und 2 BvR 939/14) haben auch für Abschiebungen in andere Sichere Drittstaaten bzw. Dublin-Staaten als Italien und auch für aus gesundheitlichen Gründen besonders schutzbedürftige Ausländer große Bedeutung und lauten (vgl. S. 4ff. bzw. S. 5ff. der Beschlüsse):
1. Im Falle Italiens bestehen aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen und des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer.
2. Jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.
3. Dieses Erfordernis besteht unabhängig davon, ob die Ausländer bereits im Zielstaat einen Schutzstatus erhalten haben oder ob sie unter die Dublin-Verordnung fallen.
4. Rückführungen in Sichere Drittstaaten bzw. Dublin-Staaten und die damit einhergehenden Gefährdungen sind i.H.a. die betroffenen Grundrechte anders zu beurteilen als Rückführungen ins Heimatland, weil die betroffenen Ausländer regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen können.
5. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 AsylVfG sowohl zielstaatsbezogene als auch inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, ohne dass der Ausländerbehörde daneben eine eigene Entscheidungskompetenz verbleibt; das gilt auch für nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretende Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe.
6. Ein Anspruch auf Duldung besteht auch dann, wenn Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn besteht, sich der Gesundheitszustand des Betroffenen also zwar nicht unbedingt durch den Transportvorgang, aber durch die Abschiebung als solche wesentlich oder lebensbedrohlich verschlechtern würde. Gesundheitsgefahren sind von Amts wegen zu beachten. Im Einzelfall ist es erforderlich, dass die deutschen Behörden dafür sorgen, dass erforderliche Hilfen im Zielstaat zur Verfügung stehen.
7. Bei Abschiebungen von in einem Sicheren Drittstaat als schutzberechtigt anerkannten Ausländern in diesen Staat sind die EU-Rückführungsrichtlinie und dort u.a. die besonders betonten Gesichtspunkte der Familieneinheit und des Kindeswohls zu beachten."