| Kosovo FR NRW: Flüchtlinge aus dem Kosovo. Fluchtursachen und ihre Situation in NRW
Die Zahl der Asylsuchenden aus dem Kosovo steigt derzeit an. Dies führt dazu, dass von Politik und Medien der Eindruck erweckt wird, das Asylsystem würde wegen des „Andrangs“ der Kosovaren kollabieren. Für die Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmte Gebäude und Äußerungen des Innenministers von NRW unterstützen diesen Eindruck. Fakt ist jedoch, dass die Situation in den Flüchtlings-Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW und der Kommunen auch schon vor diesem Anstieg sehr angespannt war, was wiederum auf eine fehlende Vorbereitung auf die absehbar ansteigenden Asylantragszahlen in den vergangenen Jahren zurückzuführen ist. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sollen im Januar ungefähr 18.000 Kosovaren nach Deutschland eingereist sein. Der vorliegende Artikel möchte die Ursachen dieses Anstiegs genauer beleuchten.
Fluchtursachen
Festzuhalten ist, dass die Lebensverhältnisse für die Bevölkerung des Kosovo unverändert schlecht sind. Konkrete Auslöser für den aktuellen Anstieg sind bislang nicht geklärt. Möglicherweise sind Gerüchte im Umlauf, die eine gute Aussicht auf Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen und einen längeren Aufenthalt in Deutschland versprechen, wodurch verzweifelte Menschen zur Flucht ermutigt werden. Fluchthelfer könnten ein Interesse daran haben: Sie verlangen von jedem Flüchtling etwa 200 Euro für den Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn. Wie viel Wahrheit in solchen Gerüchten steckt, ist ungeklärt.
Der Großteil der kosovarischen Bevölkerung lebt in existenzbedrohender Armut. Über die Hälfte der Kosovaren lebt von weniger als 1,42 Euro am Tag. Etwa 16 % der Kinder sind mangelernährt und leiden in der Folge an Wachstumsstörungen. Die Arbeitslosigkeit unter erwerbsfähigen Erwachsenen liegt bei über 30 %, was zur Entstehung eines großen informellen Sektors, einschließlich organisierter Kriminalität, geführt hat. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ist nicht abzusehen.
Ein Teil der Flüchtlinge gehört der Minderheit der Roma an, die auf dem gesamten Balkan struktureller Diskriminierung ausgesetzt ist. So ist der Arbeitsmarkt den Roma weitestgehend verschlossen, die Arbeitslosenquote liegt bei 90 – 100 %. Daher leben Roma überdurchschnittlich oft in extremer Armut. Zusätzlich ist ihnen der Zugang zu regulärem Wohnraum, zum sozialen Sicherungssystem und zur Gesundheitsversorgung erheblich erschwert. Damit ist die Situation für Angehörige der Roma, vor allem für besonders schutzbedürftige Personen wie Kranke und Kinder, oft nicht nur wirtschaftlich schlecht, sondern lebensbedrohlich. Es sind jedoch nicht nur die Angehörigen der Minderheiten, die das Land verlassen. Auch die „Mittelschicht“ flieht zunehmend aus dem Kosovo.
Die Schutzquote für Asylbewerber aus dem Kosovo lag im vergangenen Jahr bei nur knapp einem Prozent. Bei 3690 bearbeiteten Anträgen wurden vier Personen als Flüchtlinge anerkannt und 36 Abschiebungsverbote ausgesprochen. Diese Zahlen spiegeln nicht die tatsächlichen Verhältnisse im Kosovo wider, sondern sind ein Indiz für die laxe Prüfung dieser Asylanträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie mangelnde Berücksichtigung der kumulativen Verfolgung, der viele Menschen im Kosovo ausgesetzt sind.
Fluchtwege
Die Flucht führt viele Kosovaren über Serbien und Ungarn nach Deutschland. Die Einreise nach Serbien ist für Kosovaren ohne Pass möglich, nach Ungarn können sie jedoch nur mit Hilfe eines Visums. Serbischen Staatsangehörigen ist allerdings auch ohne ein Visum die Einreise in den Westen erlaubt, daher beantragen viele der Flüchtlinge zunächst Pässe der Republik Serbien, da sie dort offiziell als Staatsbürger betrachtet werden. Haben die Flüchtlinge keinen serbischen Pass, helfen ihnen „Schleuser“ über die Grenze nach Ungarn. Außerdem reist eine unbestimmte Zahl von Kosovaren über Albanien und Montenegro nach Bosnien und von dort nach Kroatien in die EU.
Ralf Jäger, Innenminister des Landes NRW, forderte angesichts der gestiegenen Asylantragstellungen von Kosovaren, die EU-Außengrenzen schärfer zu kontrollieren und die Ursachen von Armutsmigration zu bekämpfen.
Kosovo, ein sicheres Herkunftsland?
Der Forderung des Innenministers, die Asylverfahren kosovarischer Flüchtlinge zu beschleunigen und innerhalb von zwei Wochen abzuschließen, wird (bedauerlicherweise) bereits nachgekommen. Der Flüchtlingsrat NRW hatte am vergangenen Donnerstag eine Stellungnahme zu Herrn Jägers Forderungen veröffentlicht. Die Pressemitteilung kann hier nachgelesen werden.
Einige Politiker gehen noch weiter als Ralf Jäger und möchten den Kosovo als sicheres Herkunftsland einstufen. Sie meinen, dass sich weniger Menschen auf die Flucht begeben, wenn sie mit einer schnellen Ablehnung ihres Antrags rechnen müssen. Mit der gleichen Begründung wurden im vergangenen Jahr bereits Mazedonien, Serbien und Bosnien- Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten etikettiert. Die Rechnung geht allerdings nicht auf: die Anzahl der Asylanträge aus den Balkanstaaten ist unverändert.
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Sollten Sie in Flüchtlingsberatungsstellen tätig sein und Kontakt zu Flüchtlingen aus dem Kosovo haben, würden wir uns sehr freuen, weitere Informationen zu Fluchtursachen rückgemeldet zu bekommen. Bitte schreiben Sie eine E-Mail an initiativen[at]frnrw.de.