| Presseerklärungen des FRNRW Gemeinsame Pressemitteilung von PRO ASYL, den Landesflüchtlingsräten und Jugendliche ohne Grenzen zur Innenministerkonferenz vom 16. bis 18. Juni 2021
Bochum, 16.06.2021
Pressemitteilung 7/2021
Deutschland muss Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien stoppen und Gerichtsurteile anerkennen!
PRO ASYL, die Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen fordern anlässlich der Innenministerkonferenz ein bundesweites Abschiebungsmoratorium nach Afghanistan und Syrien. Des Weiteren dürfen die Innenminister die Lage für anerkannte Flüchtlinge in Griechenland nicht weiter ignorieren.
Von Mittwoch bis Freitag treffen sich die Innenminister*innen und -senator*innen zu ihrer Konferenz, diesmal im baden-württembergischen Rust. PRO ASYL, die Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen warnen davor, dass innenpolitische Erwägungen zur Migration außenpolitische Tatsachen überlagern – konkret: Dass dem Ziel der Bundesregierung –„weniger Flüchtlinge“ – alles andere untergeordnet wird.
So droht etwa Afghanistan mit dem Abzug der NATO-Truppen erneut im Chaos zu versinken, hochrangige Sicherheitsexpert*innen warnen vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen und einem Sturm der Taliban auf Kabul. Doch von Deutschland aus werden nichtsdestotrotz weiterhin Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Während dieser Tage die westlichen Truppen evakuiert und in Sicherheit gebracht werden, starten gleichzeitig Abschiebeflieger in das nach wie vor gefährlichste Land der Welt.
Deutschland muss EuGH-Urteil zu subsidiärem Schutz schnellstens umsetzen
Das zeigt: Die derzeitige Politik der Bundesregierung und der Bundesländer strotzt nur so vor Ignoranz. Die verantwortlichen Entscheidungsträger*innen berücksichtigen weder die gut dokumentierten, dramatischen Zustände vor Ort noch die wissenschaftlichen Studien zum Thema Rückkehrrisiken, etwa jene der Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann. Die Innenminister*innen ignorieren selbst Gerichtsurteile. So hat beispielsweise der Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg festgestellt, dass abgelehnten Afghan*innen eine Rückkehr ohne ein stabiles familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan nicht zuzumuten ist. Besonders hervorzuheben ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10. Juni. Darin hat dieser die Voraussetzungen, die zur Gewährung subsidiären Schutzes führen, im Vergleich zur Rechtspraxis der Bundesrepublik maßgeblich erweitert. Das hat insbesondere für Geflüchtete aus Afghanistan Konsequenzen – und kann Leben retten. Deutsche Gerichte und Behörden müssen nun sowohl die Gewährung eines Schutzstatus als auch die Praxis der Abschiebungen entsprechend ändern und an die europarechtlichen Vorgaben anpassen. Deutschland kann sich nach dem EuGH-Urteil nicht länger herausreden!
Syrien: Im zehnten Jahr des Bürgerkriegs ist das Land mitnichten sicher
UNHCR und die Genfer Flüchtlingskonvention feiern in diesem Jahr ihr 70-jähriges Bestehen. Sie bilden das Fundament des modernen internationalen Systems zum Schutz von Flüchtlingen. Doch die Bundesrepublik höhlt dieses Fundament sukzessive aus. Das gilt auch mit Blick auf Syrien. Dass der Abschiebungsstopp für Syrien nach der letzten Innenministerkonferenz ausgelaufen ist und aktiv an der Durchsetzung von Abschiebungen gearbeitet wird, ist ein menschenrechtlicher Skandal und widerspricht den Empfehlungen des UNHCR. Auch das Europäische Parlament hat anlässlich des zehnten Jahrestags des Beginns des Aufstands in Syrien »alle Mitgliedstaaten daran [erinnert], dass Syrien kein sicheres Land für die Rückkehr ist«. Wie Medienberichten zu entnehmen ist, arbeitet das Bundesinnenministerium jedoch daran, Abschiebungen von Straftätern und »Gefährdern« zu ermöglichen – zum Beispiel in die kurdischen Regionen im Nordosten Syriens. Damit eifert das Bundesinnenministerium Asyl-Hardlinern wie Dänemark nach.
Ein Jahr Corona-Pandemie: Situation vieler Geflüchteter weiterhin prekär
Seit über einem Jahr beschäftigt sich die deutsche Bundes- und Länderpolitik intensiv mit dem Umgang mit der Covid-19 Pandemie – die Situation von Geflüchteten wurde und wird dabei aber zu wenig in den Blick genommen. Obwohl sie aufgrund ihrer Wohnsituation ein hohes Infizierungsrisiko haben, sind vielerorts Impfungen in Sammelunterkünften erst spät angelaufen. PRO ASYL, die Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen fordern einen ungehinderten Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle Geflüchteten und illegalisierten Menschen. Bei vielen Geflüchteten hängen Zukunft und Bleiberecht in Deutschland davon ab, ob sie durchgängig arbeiten und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Doch dies ist zahlreichen Betroffenen unter Pandemiebedingungen nicht möglich. Ein pandemiebedingter Verlust der Arbeits- oder Ausbildungsstelle darf nicht zu aufenthaltsrechtlichen Nachteilen führen.
Abschiebungen nach Griechenland stoppen, weitere Menschen aufnehmen
Darüber hinaus müssen die Innenminister*innen sich dringend mit der Lage in Griechenland beschäftigen. Sogar Menschen, die dort einen Schutzstatus erhalten haben, stehen oft vor dem Nichts, viele von ihnen landen in der Obdachlosigkeit. Anerkannte Flüchtlinge können nicht einmal grundlegende Bedürfnisse (»Bett, Brot und Seife«) befriedigen. Das haben auch deutsche (Ober)Verwaltungsgerichte festgestellt und verbieten deshalb Abschiebungen von Deutschland nach Griechenland. Es reicht jedoch nicht, die Asylverfahren von in Griechenland Anerkannten einfach auf Eis zu legen, wie es derzeit in Deutschland geschieht. So müssen die Betroffenen in einem unerträglichen Schwebezustand verharren. Stattdessen sollten Abschiebungen nach Griechenland gänzlich eingestellt werden.
Angesichts der Situation von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen und des hohen Bedarfs des UNHCRs an Resettlement-Plätzen fordern PRO ASYL, Jugendliche ohne Grenzen und die Flüchtlingsräte eine deutliche Erhöhung und Vervielfachung der Länderaufnahmeprogramme, die Ermöglichung kommunaler Aufnahmen sowie deren konsequente und schnellstmögliche Umsetzung.
Die vollständigen Anliegen von PRO ASYL zur Innenministerkonferenz vom 16.–18. Juni 2021 finden Sie hier.
Für Presseanfragen wenden Sie sich bitte an:
PRO ASYL: presse@proasyl.de; Tel.: 069 2423 14
Die vollständige Pressemitteilung als PDF ist hier verfügbar.