| Publikationen Länderbericht: Ungarn
Anbei finden Sie den aktuellen MIDEM-Länderbericht Ungarn der Stiftung Mercator und der Technischen Universität Dresden.
1. Einleitung
Am 3. April 2022 stehen die Bürgerinnen und Bürger Ungarns vor einer richtungsweisenden Parlamentswahl. Dabei geht es nicht nur um die Zusammensetzung der nächsten Regierung, sondern vor allem um die künftige demokratische Ausrichtung des Landes. Die Wahl ist damit ein direktes Votum über das politische Erbe Viktor Orbáns. Denn an seiner Person machte sich in den letzten zwölf Jahren der Abbau des ungarischen Rechtsstaates und seiner Institutionen sowie die Entwicklung hin zu einer ‚illiberalen Demokratie‘ fest. Mit einem System persönlicher Seilschaften hat Orbán der engen Verbindung wirtschaftlicher und politischer Interessen Vorschub geleistet und die autoritäre Entwicklung Ungarns befeuert. Zwar konnten auf kommunaler Ebene dank verschiedener Wahlbündnisse bereits erfolgreich Fidesz-Mandatsträger abgelöst werden. Ob diese Strategie auch einen Regierungswechsel auf nationaler Ebene herbeiführen kann, wird sich aber erst noch zeigen müssen. Fest steht allerdings, dass eine Niederlage von Fidesz einen deutlichen Kurswechsel im Hinblick auf die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit bedeuten würde. Die kommende Parlamentswahl könnte auch richtungsweisend für einen Verbleib Ungarns in der Europäischen Union sein. Die Fidesz-Partei hat über viele Jahre einen ‚Anti-Brüssel‘-Diskurs gepflegt und eine eigene Vorstellung über die Ausgestaltung der Europäischen Staatengemeinschaft (mit stärkerer Betonung nationalstaatlicher Souveränität und Ablehnung supranationaler Institutionen) entwickelt. Dazu gehört auch eine restriktiv-abschottende Einwanderungspolitik mit xenophoben, nationalistischen Untertönen. Bereits 2019 wurde die Fidesz von der größten Fraktion im Europaparlament, der Europäischen Volkspartei (EVP), aufgrund zahlreicher Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeitsprinzipen suspendiert. 2021 kam sie dem drohenden Ausschluss zuvor und verließ die EVP. In vielerlei Hinsicht steht Ungarn gewissermaßen am Scheideweg. Die zentrale Frage lautet: Wird es gelingen, dem Demokratieabbau und der ausgesprochen restriktiven Asyl- und Migrationspolitik unter der Fidesz-geführten Regierung Einhalt zu gebieten? Oder wird die Bevölkerung der Partei unter Leitung von Viktor Orbán das Mandat für eine vierte Amtszeit geben? Der vorliegende Länderbericht gibt einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen in Ungarn mit besonderem Augenmerk auf Migrations- und Integrationsfragen. Unter Einbeziehung historischer Entwicklungen und gegenwärtiger Migrationsprozesse wird ein Einblick in die Situation direkt vor den wichtigen Parlamentswahlen im April 2022 geboten.