| Seenotrettung Zur Lage der europäischen Seenotrettung auf dem Mittelmeer
Mit der Machtenthebung des italienischen migrationspolitischen Hardliners Matteo Salvini Ende August 2019 hat sich Italiens Kurs in Bezug auf die Seenotrettung zunächst etwas verändert. Wie Welt.de am 15.10.19 berichtete, sei der Ocean Viking, einer privaten Seenotrettungsmission von SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen, von den italienischen Behörden erneut die Einfahrt, diesmal in den Hafen Taranto, erlaubt worden; 176 Flüchtlinge hätten in Taranto von Bord gehen dürfen. Der Regierungswechsel in Italien begünstigte auch das Sondertreffen der Innenminister aus Deutschland, Frankreich, Italien und Malta, unter dem EU-Ratsvorsitz Finnlands, zur Verbesserung der prekären Lage von Bootsflüchtlingen, das am 23.09.19 im maltesischen Vittoriosa stattfand.
Die am 23.09.19 auf Malta beschlossene „Übergangslösung“ sieht, laut Focus Online Bericht vom 24.09.19, vor, dass Rettungsschiffe aus dem zentralen Mittelmeer zukünftig Italien und Malta ansteuern werden. Sollten beide Staaten überlastet sein, bestehe die Option, dass zusätzlich Frankreich seine Häfen öffnet. Die Bootsflüchtlinge sollen dann nach einem festen Verteilungsschlüssel innerhalb von vier Wochen auf die teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden und zwar unabhängig davon, ob eine Asylberechtigung vorliege oder nicht. Die Vereinbarung sehe eine Laufzeit von zunächst sechs Monaten vor; die Teilnahme könne jederzeit beendet werden. Wie bereits im Vorfeld des Treffens angekündigt, habe sich Deutschland bereit erklärt, bis zu 25% der Bootsflüchtlinge aufzunehmen. Die „Übergangslösung“ wurde am 08.10.19 beim EU-Innenministertreffen vorgestellt. Das Ergebnis sei jedoch „ernüchternd” ausgefallen, wie Tagesschau.de am selben Tag berichtete. Auch wenn die „Übergangslösung“ nicht kategorisch abgelehnt wurde, habe sich bisher kein weiterer EU-Staat der Absichtserklärung angeschlossen. Die meisten EU-Länder würden weiterhin die Abwicklung von Asylverfahren nach bestehendem Recht in Italien oder auf Malta fordern.
Ein wesentlicher Kritikpunkt an der bisher erarbeiteten Absichtserklärung ist, nach Ansicht von PRO ASYL, die Engführung auf die zentrale Mittelmeerroute, die ausschließlich auf die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen auf hoher See fokussiere. Andere Seerouten, die größtenteils aus Territorialgewässern bestehen, würden damit ausgeklammert werden. Laut UNHCR Information vom 28.10.19 kamen seit Jahresbeginn 9.427 Schutzsuchende in Italien und 2.738 in Malta an, der Großteil der Flüchtlinge erreichte jedoch die griechischen Inseln (53.462 Personen) sowie Spanien (25.191 Personen). PRO ASYL fordert daher eine solidarische Aufnahme und Verteilung von Bootsflüchtlingen aller Seerouten. Laut einem Deutsche Welle Bericht vom 07.10.19 haben mittlerweile auch die Regierungen Griechenlands, Bulgariens und Zyperns in einer gemeinsamen Stellungnahme eine stärkere Berücksichtigung der östlichen Mittelmeerroute gefordert.
Weiterhin heißt es in der Pressemitteilung von PRO ASYL vom 06.10.19, dass der Einsatz privater Seenotrettungsmissionen nicht die Abwesenheit einer staatlichen, europäischen Seenotrettung kompensieren könne. In der Absichtserklärung finde sich kein Hinweis darauf, dass zukünftig EU-Rettungsschiffe eingesetzt werden sollen; lediglich ein Ausbau der Luftraumüberwachung sei vorgesehen. Spiegel Online berichtete bereits am 12.07.19, dass die Wahrscheinlichkeit auf der Flucht zu sterben, signifikant gestiegen sei, seitdem weniger Rettungsschiffe auf dem Mittelmeer unterwegs sind. Während 2015 vier von 1000 Bootsflüchtlingen ums Leben gekommen sind, seien es inzwischen 25 von 1000. Offiziellen Angaben von Missing Migrants vom 28.10.19 zufolge, starben 2019 bereits 692 Flüchtlinge allein auf der zentralen Mittelmeerroute. Die Dunkelziffer liege vermutlich deutlich höher.
Auch der geplante Ausbau von Kooperationen mit Herkunfts- und Transitländern bei Rückführungen von Flüchtlingen wird von PRO ASYL kritisch bewertet. Entwicklungshilfe und andere Unterstützungsleistungen dürften nicht als Druckmittel zur Kooperationsförderung in Migrationsfragen eingesetzt werden. Eine menschenrechtskonforme Zusammenarbeit sei in den meisten Fällennicht möglich, wie schon jetzt die Kooperation mit der sogenannten „libyschen Küstenwache“ zeige, die es sofort zu beenden gelte. „Dem Bundesinnenminister empfehlen wir, die wichtigsten Akteure einer neuen Koalition der Aufnahmebereiten nicht länger zu ignorieren: In Deutschland alleine haben sich über 90 Kommunen zum »Sicheren Hafen« und damit zur Aufnahme von Schutzsuchenden bereit erklärt. Eine neue Koalition der Menschlichkeit und Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme wird maßgeblich getragen von den Städten und Kommunen in Deutschland und Europa“, so PRO ASYL am 06.10.19.
Welt.de – Italien lässt 176 Flüchtlinge von „Ocean Viking“ an Land (15.10.2019)
Focus Online – EU-Staaten einigen sich auf Notfallsystem zur Verteilung geretteter Flüchtlinge (24.09.2019)
Tagesschau.de – EU-Minister lassen Seehofer hängen (08.10.2019)
PRO ASYL - Eine neue Koalition der aufnahmebereiten Staaten? Zum Treffen der EU-Innenminister am 8. Oktober (06.10.2019)
UNHCR Operational Portal Refugee Situations (28.10.2019)
Deutsche Welle – Drei Länder schlagen vor Innenministertreffen Alarm (08.10.2019)
Spiegel Online – Mehr Retter, mehr Flüchtlinge – warum das so nicht stimmt (12.07.2019)
IOM Missing Migrants –Tracking Deaths along Migratory Routes (28.10.2019)
Weitere Artikel aus dem Schnellinfo 02/2019 finden Sie hier.