| Aufenthaltserlaubnis VG Köln: Unzulässigkeit des Widerrufs der Allgemeinen Prozesserklärung durch das BAMF und § 60 Abs. 5 für jungen, gesunden Afghanen
Das BAMF hat seine Allgemeine Prozesserklärung vom 27.06.2007 mit darin enthaltenem Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung widerrufen. Damit versucht das BAMF positive Entscheidungen zum Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 zu blockieren. Mit dem beigefügten Urteil des VG Köln hält dieses den Widerruf des BAMF für unwirksam und entscheidet weiterhin ohne mündliche Verhandlung gegen den Willen des BAMF:
VG Köln, Urteil vom 25.02.2021 – (14 K 7436/17.A)
Widerruf der allgemeinen Prozesserklärung durch BAMF ist unwirksam.
Prozessrechtlich handelt es sich bei der von der Beklagten am 27.6.2017 ergangenen Erklärung des Einverständnisses zum Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO um eine grundsätzlich unwiderrufliche Prozesshandlung und diese unterliegt keiner zeitlichen Befristung (vgl. BVerwG, Beschl. vom 4.6.2014 – 5 B 11.14 – juris, Rn. 11, m.w.N).
Die Wirksamkeit einer von einem Beteiligten abgegebenen Prozesserklärung hängt nicht davon ab, ob sie in das Verfahren eingeführt und damit der Gegenseite bekannt gegeben wurde (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.02.2020 – 9 A 4367/19.A -, juris, Rn. 9 f., unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 20.5.1976 – VII B 66.76 – juris, Rn.4).
Die Bindung eines Beteiligten an seine Erklärung tritt ein, sobald diese bei Gericht eingegangen ist, auf die Erklärung der übrigen Beteiligten kommt es nicht an, weil es für die Wirksamkeit nicht auf die Bekanntgabe bzw. die Kenntnis der Gegenseite ankommt, da die Erklärung gegenüber dem Gericht abgegeben wird (vgl BFH, Beschluss vom 8.6.1994 – IV R 9/94-, juris, Rn. 13; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15.Aufl. 2019, § 101 Rn. 7; Strömer, in: Fehling/Kastner/ders., Verwaltungsrecht, § 101 VwGO Rn. 8, Fn. 33, m.w.N.; Ortloss/Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand 39. EL Juli 2020, § 101 Rn. 10; Stuhlfauth in: Bader/u.a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 101 Rn. 7; offen gelassen: BSG, Beschluss vom 16.2.2007 – B 6 KA 60/06 B -juris, Rn. 10).
Die geltende Erklärung ist weder verbraucht worden, noch wurde sie durch die zwei an die Präsidentinnen und Präsidenten der Verwaltungsgerichte u.a. vom 23.12.2020 und 20.01.2021 gerichteten Schreiben wirksam widerrufen. Der Vorbehalt des Widerrufs in der Allgemeinen Prozesserklärung vom 27.6.2017 bemächtigt die Beklagte nicht die rechtlichen Anforderungen an die nur ausnahmsweise anzunehmende Zulässigkeit des Widerrufs einer Prozesserklärung zu umgehen (vgl. zu den Anforderungen: OVG NRW, Urt. v. 13.8.2007 – 1 A 1995/06-, juris, Rn. 32 ff. m.w.N.; so im Ergebnis zu der streitgegenständlichen Erklärung der Beklagten auch VG Freiburg, Urt. v. 21.1.2021 – A 9 K 666/20-, juris, Rn. 23.).
Im Übrigen: § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK für 1990 geborenen Afghanen wegen Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts am Rande des Existenzminimums. Die humanitären Bedingungen in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif - die mit Blick auf die Sicherheitslage und ökonomische Grundbedingungen überhaupt für die Ansiedlungen eines Rückkehrers aus dem westlichen Ausland in Betracht kommen – haben sich durch die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie weiter verschärft, mit einer Verbesserung ist mittelfristig nicht zu rechnen. Der Kläger ist auch als erwachsener, alleinstehender, gesunder und arbeitsfähiger Mann schutzwürdig, da er über keine nennenswerte Arbeitserfahrung in Afghanistan verfügt, kein hinreichend tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk hat und er nicht nachhaltig finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte erfährt oder über ausreichendes Vermögen verfügt.