| Aktuell, Aufenthaltserlaubnis Chancenaufenthaltsrecht: OVG NRW Beschluss zu § 104c AufenthG und GÜB
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat einen neuen Beschluss vom 10.02.2023 (18 B 103/23) zum Chancenaufenthaltsrecht veröffentlicht.
Die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA e.V.) gibt in einer Rundmail folgende Einschätzung zu dem Beschluss:
Das OVG nimmt in diesem Beschluss neben der eigentlichen Frage unaufgefordert Stellung zu den ergänzenden bzw. abweichenden Regelungen in Punkt 1.3 durch den Erlass des MKJFGFI vom 08.02.2023 in Bezug auf den geduldeten Aufenthalt zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. zum Stichtag.
Das MKJFGFI hatte abweichend vom BMI den Besitz einer GÜB (Grenzübertrittsbescheinigung) oder einer ausländerbehördlichen Bescheinigung über die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zum Zeitpunkt der Antragstellung als ausreichend im Sinne einer faktischen Duldung bewertet.
Das OVG NRW stellt mit dem Beschluss vom 10.02.2023 klar, dass es diese Regelung als nicht vereinbar mit dem AufenthG sieht. Ein Ausländer ist laut OVG NRW nur dann geduldet, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist oder wenn er einen Rechtsanspruch auf eine Duldung hat, der Besitz einer GÜB oder eine Bescheinigung über die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen reiche nicht aus. Eine faktische Duldung sähe die Konzeption des Aufenthaltsgesetzes laut OVG NRW nicht vor. Für Personen im Besitz einer GÜB würde also kein Zugang zum ChAR bestehen.
Es ist zu erwarten, dass der Erlass des MKJFGFI bei der angekündigten Überarbeitung entsprechend angepasst wird.
Diese Rechtsprechung ist ärgerlich, da sie die das Konstrukt der faktischen Duldung negiert und verkennt, dass in der Praxis viele Menschen teils über einen längeren Zeitraum faktisch geduldet sind und eben nicht im Besitz einer Duldungsbescheinigung sind. Mindestens wenn Menschen über einen längeren Zeitraum zu Unrecht im Besitz einer GÜB sind, und eigentlich (wieder) im Besitz einer Duldung sein müssten, sollte dieser Ausschluss trotz OVG-Urteil nicht greifen. Eine Antragstellung könnte also auch trotz Besitz einer GÜB erfolgreich sein.
Des Weiteren hält das Gericht die Regelung in 1.3.a) des NRW Erlasses für mehrdeutig. Dieser Punkt besagt: „Zum Stichtag 31.10.2022 muss sich eine von § 104c AufenthG begünstigte Person nicht im Besitz einer Duldung befunden haben, um in den Anwendungsbereich von § 104c AufenthG zu gelangen."
Das OVG NRW stellt klar, dass Personen, die zum Stichtag nicht geduldet waren, nicht komplett ohne Grundlage für einen Aufenthalt gewesen sein dürfen, sondern entweder einen Anspruch auf eine Duldung gehabt haben müssen, oder im Besitz einer Gestattung oder eine AE gewesen sein müssen.
Der Beschluss 18 B 103/23 ist hier einsehbar.