| Aktuell, Sonstige Sozialleistungen BAföG-Anspruch eines syrischen Flüchtlings nach Wechsel des Studiengangs

Pressemitteilung des Oberlandesgericht für das land NRW vom 10.10.2023:

Ein aus Syrien stammender Flüchtling, der in seinem Heimatland acht Semester lang islamische Rechtswissenschaften studiert und nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ein Studium der "Sozialen Arbeit" aufgenommen hat, kann dafür Ausbildungsförderung beanspruchen. Das hat das Oberverwaltungsgericht durch - den Beteiligten heute bekanntgegebenes - Urteil vom 25.09.2023 entschieden und damit das vorangegangene Urteil des Verwaltungsgerichts Münster geändert.

Das im Jahre 2011 aufgenommene rechtswissenschaftliche Studium des Klägers an einer Hochschule in Damaskus endete ohne Abschluss mit seiner bürgerkriegsbedingten Flucht im Jahre 2015. In Deutschland wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach erfolgreichem Absolvieren von Deutschkursen nahm er im Jahre 2018 das Studium der "Sozialen Arbeit" an einer Fachhochschule in Münster auf. Das Studierendenwerk lehnte seinen Antrag auf Ausbildungsförderung mit der Begründung ab, wegen seines mehrjährigen, nicht abgeschlossenen Studiums in Syrien komme eine Förderung der nunmehr begonnenen anderen Ausbildung nur bei Vorliegen eines unabweisbaren Grundes für den Fachrichtungswechsel in Betracht. An einem solchen Grund fehle es. Der Kläger müsse sich an seiner im Heimatland getroffenen Ausbildungswahl festhalten lassen, da ein rechtswissenschaftliches Studium auch in Deutschland angeboten werde. Das Verwaltungsgericht wies die gegen die Antragsablehnung gerichtete Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Zur Begründung seines Urteils hat der 12. Senat im Wesentlichen ausgeführt:

Das nicht zum Abschluss gebrachte Studium der Rechtswissenschaften in Syrien ist förderungsrechtlich als Erstausbildung des Klägers zu berücksichtigen. Mit der späteren Aufnahme des Studiums der Sozialen Arbeit in Deutschland hat der Kläger einen Fachrichtungswechsel vollzogen. Dass er seine im Heimatland begonnene Hochschulausbildung fluchtbedingt endgültig aufgegeben hat, ist nicht erkennbar. Der Fachrichtungswechsel des Klägers beruhte auch auf einem für die Förderfähigkeit der anderen Ausbildung notwendigen unabweisbaren Grund. Ein solcher Grund erfordert Umstände, welche die Wahl zwischen der Fortsetzung der bisherigen Ausbildung und dem Überwechseln in eine andere Fachrichtung nicht zulassen. Im Fall des Klägers war ein Wechsel der Fachrichtung bei Fortführung der Hochschulausbildung in Deutschland unausweichlich. Das gilt vor allem auch mit Blick auf die unterstellte Möglichkeit der Aufnahme eines Jurastudiums in Deutschland. Von einer "Fortsetzung der bisherigen Ausbildung" im vorgenannten Sinne kann nur die Rede sein, wenn die fortgeführte Ausbildung derselben Fachrichtung zuzuordnen ist wie die bisher/vormals betriebene Ausbildung. Ein Studium der Rechtswissenschaften an einer deutschen Universität fiele aber offensichtlich in eine andere Fachrichtung als die rechtswissenschaftliche Ausbildung, welche der Kläger an der Hochschule in Syrien betrieben hat. Die diametrale Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme und -ordnungen beider Länder bildet sich auch in den jeweiligen rechtswissenschaftlichen Studiengängen ab. Allein daraus, dass die Studiengänge abstrakt dem gleichen Wissenschaftsgebiet zuzuordnen sind und nach erfolgreichem Abschluss eine Tätigkeit wohl in gleichen juristischen Berufsfeldern - einerseits in Syrien, andererseits in Deutschland - ermöglichen, folgt nicht, dass ein in Syrien betriebenes Studium der Rechtswissenschaften in Deutschland "fortgeführt" werden könnte. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Studierende mit (weit) vorangeschrittenem Ausbildungsstand sich förderungsunschädlich nur unter den engen Voraussetzungen des "unabweisbaren Grundes" von seinem ursprünglichen Ausbildungsziel lösen und einer anderen Ausbildung zuwenden können. Allerdings beruht diese Vorstellung auf der Annahme, dass die begonnene Ausbildung auch tatsächlich in der Weise fortgeführt werden kann, dass sie auf bereits vermittelten Ausbildungsinhalten aufbaut und einen dementsprechend zeitgerechten Abschluss erwarten lässt. Daran fehlt es, wenn die angebotene Ausbildung - wie hier der Studiengang der Rechtswissenschaften an einer deutschen Universität - lediglich eine gleiche (oder ähnliche) Bezeichnung trägt und zu einer allenfalls "artverwandten" Qualifikation führt wie die Erstausbildung, sich aber inhaltlich vollkommen von dieser unterscheidet und folglich keinerlei Anrechnung bereits erbrachter Studienleistungen ermöglicht. Als anerkannter Flüchtling ist der Kläger auch nicht darauf zu verweisen, das in seinem Heimatland aufgenommene Studium der islamischen Rechtswissenschaften dort zum Abschluss zu bringen.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Aktenzeichen: 12 A 1659/21 (I. Instanz: VG Münster ­ 6 K 3678/18 -)

pressestelleovg.nrw.de

 

Zurück zu "Themen A-Z"

Ehrenamtspreis des Flüchtlingsrates NRW

Mit dem Ehrenamtspreis möchte der Flüchtlingsrat NRW das ehrenamtliche Engagement von in der Flüchtlingshilfe aktiven Initiativen und Einzelpersonen in NRW ehren und diese in ihrer Arbeit stärken.

Weitere Informationen zum Ehrenamtspreis finden Sie hier.

Nein zur Bezahlkarte: Ratsbeschlüsse aus nordrhein-westfälischen Kommunen

In dieser regelmäßig aktualisierten Übersicht dokumentiert der Flüchtlingsrat NRW, welche Kommunen sich bisher gegen die Einführung einer Bezahlkarte für Schutzsuchende entschieden haben.

Die Übersicht finden Sie hier.

Keine Propaganda auf Kosten von Flüchtlingen! Argumentationshilfen gegen Vorurteile

Der Flüchtlingsrat NRW e.V. stellt eine ausführliche Argumentationshilfe zur Entkräftung von Vorurteilen (Stand: November 2023) bereit. Diese finden Sie hier.

Broschüre zum Engagement für Flüchtlinge in Landesunterkünften

Der Flüchtlingsrat NRW hat die Broschüre „Ehrenamtlich engagiert – für Schutzsuchende in und um Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW“ aktualisiert (Stand Dezember 2021).

Die Broschüre können Sie hier herunterladen.

Kooperations- und Fördermöglichkeiten für flüchtlingspolitische Veranstaltungen und Projekte

Broschüre des FR NRW, Stand September 2024, zu verschiedenen Institutionen, die fortlaufend für eine finanzielle Unterstützung von Projekten und Veranstaltungen zu flüchtlingspolitischen Themen angefragt werden können.

Mehr dazu

Forum Landesunterbringung

Neues Webforum "Flüchtlinge in Landesaufnahmeeinrichtungen in NRW (WFL.NRW)" jetzt online!
Das Webforum möchte einen Einblick in die Situation von Flüchtlingen in Landesaufnahmeeinrichtungen ermöglichen.

Das Webforum finden Sie hier.

 

Gefördert u.a. durch: