| International Schutzberechtigte EuGH-Urteil: Verlustfeststellung in Verbindung mit erneutem Freizügigkeitsrecht
Anbei finden Sie ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22.06.2021 (C‑719/19), in welchem die Frage geklärt wurde, ob nach einer erfolgten Verlustfeststellung und Ausreiseverfügung (weil die Freizügigkeitsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt waren) unmittelbar ein neues Freizügigkeitsrecht (zunächst voraussetzungslos für drei Monate) entsteht, wenn die Person kurzfristig ausgereist ist und nach wenigen Tagen oder Stunden erneut in den Mitgliedsstaat einreist:
- Nach einer Verlustfeststellung wegen Nicht-Erfüllens der Freizügigkeitsvoraussetzungen darf keine Einreisesperre verhängt werden. Es darf auch keine „Mindestabwesenheitszeit" für das Aufleben eines neuen Freizügigkeitsrechts verlangt werden.
- Allerdings reicht eine rein physische Abwesenheit aus dem Mitgliedsstaat von wenigen Stunden oder Tagen nicht aus, um danach ein neues Freizügigkeitsrecht zu begründen. In diesem Fall handelt es sich vielmehr nur um eine Unterbrechung des bisherigen Aufenthalts, so dass die Verlustfeststellung auch danach wirksam bleibt.
- Stattdessen muss der Aufenthalt in dem Mitgliedsstaat zunächst „wirksam" und „tatsächlich" beendet worden sein, damit nach einer Wiedereinreise ein neues voraussetzungsloses Freizügigkeitsrecht für drei Monate entstehen kann. Ob es sich zuvor um eine „wirksame" Beendigung des Aufenthalts gehandelt hatte, muss stets einzelfallbezogen geprüft werden. Dazu hat der EuGH beispielhaft folgende Gesichtspunkte genannt: Kündigung eines Mietvertrags und des Strom- / Wasservertrags, Abmeldung beim Bürger*innenamt usw. Auch die Dauer der Abwesenheit ist ein Gesichtspunkt für die Prüfung, ob eine „tatsächliche" und „wirksame" Beendigung des Aufenthalts stattgefunden hat, wobei es keine starre zeitliche Mindestzeit geben kann.
- Trotz einer noch gültigen Verlustfeststellung (weil noch keine „wirksame" und „tatsächliche" Beendigung des Aufenthalts erfolgt ist) besteht für die Unionsbürger*in jederzeit das Recht auf (kurzfristige) Einreise in den Mitgliedsstaat, um sich dort „punktuell" aufzuhalten (z. B. zum Einkaufen oder zu Besuchszwecken).
- „Allerdings ist klarzustellen, dass eine materielle Änderung der Umstände, die den Unionsbürger die in Art. 7 der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen ließe, der gegen ihn ergangenen Ausweisungsverfügung jede Wirkung nähme und zwingend dazu führen würde, ungeachtet ihrer Nichtvollstreckung seinen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats als rechtmäßig anzusehen." Wenn sich nach einer Verlustfeststellung die Situation ändert und die Person z. B. eine Arbeit findet, entsteht sofort ein neues Freizügigkeitsrecht und auch ohne Ausreise. Die Verlustfeststellung wird in diesem Fall sofort und automatisch unwirksam und der Aufenthalt ist wieder rechtmäßig. Eine Ausreise ist dafür nicht erforderlich.